Tunesien will Demokratie und Rechtsstaatlichkeit demonstrieren und hat als erster nordafrikanischer Staat den Internationalen Gerichtshof anerkannt sowie die Menschenrechts- und Antifolterkonvention unterzeichnet.
Ben Ali und seine Frau wurden wegen Veruntreuung von öffentlichen Geldern in absentia zu je 35 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil nach nur sechs Stunden wurde als Farce bezeichnet „gerichtlich Unsinn, aber politisch zweckdienlich”. Die Tunesier wollten einen richtigen fairen Prozess mit Zeugenaussagen. Weitere Vorgehen sind geplant. Die Beiden werden die Strafe nie antreten, da es unwahrscheinlich ist, dass Saudi Arabien sie ausliefern wird.
Auf der kleinen Insel Lampedusa gibt es inzwischen mehr Flüchtlinge als Einwohner. Täglich kommen neue überfüllte Boote an, die meisten aus Tunesien. Pater Stark vom Jesuitenflüchtlingsdienst berichtet von katastrophalen Zuständen, von Lebensmittelknappheit und Gefahr von Epidemien. Wenn die drohende Flüchtlingswelle von Libyen vermutlich noch dazu kommt, müssten Mitgliedstaaten der EU sich solidarisch zeigen und wenigstens vorübergehenden Schutz gewähren.
Unter Ben Alis Regierung war sie für viele Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und vom Volk gehasst. Ihre Auflösung war eine Kernforderung der Opposition. Der Übergangspremier hat für nach den Wahlen am 24. Juli eine neue Regierung versprochen, die keine Mitglieder des alten Regimes enthält, was viele Demonstranten als endgültigen Sieg sehen.
Nach wochenlangen Protesten ist der tunesische Ministerpräsident nun zurückgetreten, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Ghannouchi, langjähriger Regierungschef unter Ben Ali, wollte erst nach den Neuwahlen im Juli gehen, aber der Unmut der Tunesier gegen seinen Verbleib im Amt, der am Wochenende noch drei Todesopfer forderte, brachte die schnelle Entscheidung.
Der seit dem Umsturz mutmaßlich vernachlässigte Grenzschutz ermutigt viele Tunesier zur Überfahrt nach Lampedusa. Die nur 20 qukm große italienische Insel hat das inzwischen geschlossene Flüchtlingslager wieder eröffnet und den humanitären Notstand erklärt. Die von Rom angebotenen Polizeikräfte zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms vor seiner Küste lehnt Tunesien als Einmischung ab.
Heute beginnt die drei-tägige Staatstrauer für die Opfer des Volksaufstands, der zum Fall von Präsident Ben Ali führte. Offiziell soll es 78 Tote gegeben haben. In einer Generalamnestie werden, wenn das Parlament zustimmt, alle politischen Gefangene entlassen. Dass die Akademiker die Demonstranten unterstützten, könnte Grund zur Hoffnung für Frieden und eine neue Ordnung sein.
Das versprach der amtierende Präsident Mebazaa der Übergangsregierung in einer Fernsehansprache. Er werde alles dran setzen, damit die „legitimen Hoffnungen“ der Revolution realisiert werden. Inzwischen haben sich alle Minister von Ben Alis RCD Partei distanziert. Auch wurde berichtet, dass über 30 Mitglieder der kleptokratischen Ex-Präsidentenfamilie festgenommen wurden.
Kurz vor Ankündigung der neuen Übergangsregierung, die in 60 Tagen Neuwahlen vorbereiten soll, kam es wieder zu heftigen Protesten, da die Tunesier die RCD, die Partei des verhassten Ben Ali, nicht in der Koalition sehen wollen. Inzwischen werden in Tunis Nahrungsmittel und Treibstoff knapp. Die Gattin des gestürzten Präsidenten soll, nach Medienberichten, mit Gold im Wert von 45 Millionen ins Exil geflogen sein.
Schon seit Wochen gibt es heftige Proteste gegen soziale Missstände. Die Selbstverbrennung eines jungen Tunesiers und zwei weitere Selbstmorde haben die Wut noch mehr entfacht. Die Jugendlichen protestieren gegen Ben Ali und die Doppelmoral, gegen Korruption und Aussichtslosigkeit. Die scharfe Medienkonterolle umgehen sie mit anonymen Profilen in Facebook und Twitter. Akademiker sympathisieren mit den jungen Menschen und die Anwälte haben einen Generalstreik angefangen. Die Unruhen haben auf das Nachbarland Algerien übergegriffen, wo die Menschen gegen Preiserhöhungen demonstrieren.