Land ist in Afrika nicht nur eine kommerzielle Ware, die verkauft oder gepachtet werden kann. Für die Mehrheit der Menschen ist Land Lebensgrundlage. Es hat aber auch einen hohen emotionalen, fast mystischen Wert. Das Land wurde von den Vorfahren geerbt, die dort begraben sind. Es ist Ort der Ahnen. Weil Land Leben und Identität wesentlich bestimmt, ist es oft Ursache von Kriegen und Konflikten. Landnahmen (engl. landgrabbing) sind nicht neu. Die Bibel berichtet von König Ahab von Israel, der seinen Nachbarn Naboth ermorden ließ, um seinen Weinberg zu übernehmen. Die Kolonialisierung Afrikas wurde in den Ländern wie Kenia, Simbabwe oder Algerien als besonders hart und ungerecht empfunden, wo der Bevölkerung das Land weggenommen wurde. Entsprechend blutig waren die Befreiungskriege. Dass nach der Unabhängigkeit das Land oft nicht an seine ursprünglichen Eigentümer zurückging, sondern - wie in Kenia - von den neuen Eliten in Besitz genommen wurde, ist bis heute Ursache blutiger Auseinandersetzungen. Seit 2007 ist weltweit, aber besonders in Afrika, eine neue Welle von Landnahmen im Gange. Sie wird durchgeführt, nicht von kolonialen Kriegsherren, sondern ganz legal von Juristen. Afrikanische Regierungen verpachten oder verkaufen Millionen von Hektar fruchtbaren Landes an Investmentfonds, transnationale Konzerne und ausländische Regierungen, meist ohne Wissen der betroffenen Bevölkerung. Was hat diese Welle von Landdeals ausgelöst?
Land in Afrika
Die Säkularisierungsprozesse der Neuzeit haben dazu geführt, dass in europäischen Gesellschaften Land als ein kommerzieller Faktor und Landwirtschaft als eine wirtschaftlich produktive Arbeit gesehen wird. Hinzugekommen ist in den letzten Jahrzehnten ein wachsendes Bewusstsein der ökologischen Bedeutung von Landnutzung.
Land und Spiritualität
In traditionellen afrikanischen Gesellschaften hat Land eine spirituelle, fast mystische Bedeutung, ist Teil der Identität der Gruppe und des Einzelnen und beeinflusst stark die sozialen Strukturen. Es bedeutet Heimat, Ort der Ahnen, Raum für individuelle Verwirklichung. Dies wird in einem Dokument der Afrikanischen Union (AU) vom April 2009 deutlich ausgedrückt: "Für die große Mehrheit der Gesellschaften in Afrika wird Land nicht einfach als ein wirtschaftliches und ökologisches Gut angesehen, sondern als eine soziale, kulturelle und ontologische Ressource. Land bleibt ein wesentlicher Faktor in der Konstruktion einer sozialen Identität, bei der Organisation des religiösen Lebens und der Produktion und Reproduktion von Kultur. Die Verbindung zwischen den Generationen ist letztlich bestimmt durch die Land Ressourcen, die Familien, Verwandschaften und Gemeinschaften mit einander teilen und kontrollieren. Land findet seine volle Bedeutung in der Spiritualität der Gesellschaft. Dies sind Dimensionen, die eine Landpolitik berücksichtigen muss, wenn veränderte Richtlinien verinnerlicht werden sollen.
African Union und Economic Commission for Africa, Framework and Guidelines on Land Policy in Afrika, 2.5.1
Land und Gender
Das gleiche Dokument betont auch, dass die traditionelle, patriarchalische Kultur dort hinterfragt werden muss, wo sie mit den Menschenrechten in Konflikt steht. Das betrifft vor allem die Benachteiligung von Frauen, wenn es um Landbesitz und Erbschaft von Land geht, die oft den männlichen Familienmitgliedern vorbehalten sind. Landrechte müssen deshalb mit der African Charter on Human and Peoples Rights (ACHPR) in Einklang gebracht werden. "Es ist notwendig, existierende Regeln über Landbesitz zu dekonstruieren und durch neue Konstrukte und Konzepte zu ersetzen sowohl im Gewohnheitsrecht wie im kodifizierten Recht in einer Weise, die den Zugang und Kontrolle von Land für Frauen stärkt, aber auch die familiären und sozialen Netzwerke respektiert." African Union und Economic Commission for Africa, Framework and Guidelines on Land Policy in Afrika, 2.5.2
Marginalisierte Gruppen
Besonders problematisch sind die Landnutzungrechte für indigene Minderheiten, wie den San in Botsuana oder den Batwa in Zentralafrika. Ihr Lebensraum, ob Wüste oder Regenwald, wird von der modernen Entwicklung immer mehr beansprucht und damit zerstört. Auch nomadische Völker, die keine klar definierten Nutzungsflächen kennen, sind in ihrer traditionellen Lebensweise bedroht. Die Rechte solcher traditionell lebenden Gruppen und die Entwicklungspläne von Regierungen und ausländischen Investoren führen oft zu Spannungen und offenen Konflikten. Die Ansprüche der Tradition und der Moderne in Einklang zu bringen, ist keine leichte Aufgabe.
Beispiele
Seit 2007 ist die Anzahl der Landnahmen in Afrika dramatisch angewachsen. Für 2009 wird erwartet, dass Verträge über 20 Millionen Hektar abgeschlossen werden. Um sich ein Ausmaß der Landübernahmen durch ausländische Konzerne und Regierungen zu machen, sind in der Tabelle Beispiele aus den meist betroffenen Ländern gezeigt. Manche Verträge sind bereits unterzeichnet, über andere wird noch verhandelt.
Landmatrix - Überblick über alle Länder, die Land an Investoren geben und die in Land investieren. (Stand Juni 2014) Grain - Aktuelle Berichte über Landnahmen weltweit Aktuelle Daten über 450 Landnahmen in 66 Ländern gesammelt von GRAIN (Stand Jan. 2012) Die totale von Investoren übernommene Landfläche für jedes Land (Stand Dez. 2011)
Einige Daten über afrikanische Länder gesammelt vom NAD.
LANDNAHMEN IN AFRIKA
BESONDERS BETROFFENE LÄNDER
- Äthiopien
- Sudan
- Mosambik
- Sambia
- Tansania
- Madagaskar
- Senegal
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"Überall in der Welt haben sich Familienfarmen als wirtschaftlich effizienter erwiesen als Plantagen mit Lohnarbeitern."
Weltbank Notes 2009.1
Ursachen
Verursacht wurde der Ansturm auf Landbesitz vor allem durch die verschiedenen Krisen der letzten Jahre.
Eine fatale "Biosprit"-Politik
Erdölpreise von über 150 Dollar pro Barrel und Russlands Drohungen, den Gashahn zuzudrehen, machten allen europäischen Ländern bewusst, wie abhängig unsere Wirtschaft von den begrenzten Öl- und Gasvorkommen sind. Die Suche nach nachhaltigen Energiequellen wurde intensiviert. Neben Sonnen- und Windenergie ist eine mögliche Energiequelle die Produktion Ethanol und Biodiesel aus nachwachsenden Pflanzen, wie Zuckerrohr oder Jatropha. Um die Entwicklung von "Biosprit" zu beschleunigen, haben die EU und Deutschland im Jahr 2007 Beimischungsquoten von 'Biosprit zu fossilem Treibstoff festgelegt, die auf Grund begrenzter Flächen in Europa nur durch den Import von Biomasse aus Entwicklungsländern gedeckt werden kann. Die Länder des Südens und Unternehmen wittern die Chance, auf dem neuen internationalen Markt das große Geld zu verdienen. Wälder werden gerodet, um Zuckerrohr-, Palmöl- und Jatrophaplantagen anzulegen. Der Anbau von Energiepflanzen konkurriert mit der Nahrungsmittelproduktion. Die USA verwerten bereits ein Drittel ihrer Maisproduktion für Sprit. Wo die einheimischen Anbauflächen nicht ausreichen, sucht man Land anderswo. Afrika ist da besonders attraktiv auf Grund hoher Sonneneinstrahlung und vermeintlich ungenutzter Flächenreserven. Etwa 40% aller Landnahmen werden mit dem Ziel der Produktion Bio-Spirit getätigt.
Eine dramatische Nahrungsmittelkrise
Im Jahr 2007 verdoppelten sich die Preise für die Grundnahrungsmittel Mais, Weizen und Reis. Länder wie die Golfstaaten und Südkorea, die den Großteil ihrer Lebensmittel importieren müssen, waren davon besonders betroffen. Sie berechneten, dass es sicherer und billiger sei, selbst die nötigen Nahrungsmittel zu produzieren, anstatt sie wie bisher auf dem Weltmarkt zu kaufen. Auch China und Indien mit über einer Milliarde Menschen wollen die Ernährungssicherheit für ihre Bevölkerung durch eine Verlagerung der Lebensmittelproduktion ins Ausland sicherstellen.
Eine weltweite Finanzkrise
Die enormen Verluste auf den Immobilienmärkten lassen Investoren Ausschau halten nach sicheren und profitablen Investitionen. Die wachsende Weltbevölkerung, die Auswirkungen der Klimakrise, die Grenzen der grünen Revolution machen es wahrscheinlich, dass die Nahrungsmittelpreise in den nächsten Jahren steigen werden. Große Investmentfonds wie Goldmann Sachs, Stanley Morgan oder Black Rock und viele andere sind ebenfalls auf der Jagd nach Land als einer sicheren Kapitalanlage und eine Quelle hoher Profite durch die Produktion von Nahrungsmitteln für den Weltagrarmarkt.
Der Emissionshandel
Mit dem REDD-Programm (Reducing Emissions from Deforestation and forest Degradation) der Vereinten Nationen sollen forstwirtschaftliche Maßnahmen zur Reduzierung atmosphärischen Kohlendioxids und nachhaltigen Pflege des Waldes finanziell gefördert werden. Mit dem Kauf von Waldflächen sehen Investoren eine Chance, viel Geld zu verdienen.
"Eine Menge Kapital ist derzeit frei. Es sucht nach einem Ort, wo es sich vermehren kann."
Spiegel 31/2009
Ländliche Armut und Landflucht
Zugleich ist zu beobachten, dass die traditionelle Landwirtschaft in Afrika in große Schwierigkeiten gerät:
- Die Liberalisierung des Handels mit Agrargütern, die von der WTO und der EU (EPAs) betrieben wird, setzt die Produkte der lokalen Kleinbauern der Konkurrenz durch ausländische und oft subventionierte Nahrungsmittel aus dem Ausland aus. Sie verlieren ihre Märkte und gehen bankrott.
- Die junge Generation hat oft eine bessere Schulbildung, ist nicht mehr interessiert an der traditionellen Landwirtschaft und sucht anderen Lebensmöglichkeiten in den explodierenden Großstädten Afrikas. In den Dörfer bleiben die Kinder und die Alten.
- Kleinbauern haben kaum eine Chance, ihre Interessen gegen die Macht von Investoren und Regierung durchzusetzen. In den meisten afrikanischen Staaten fehlen die Rechtsstrukturen und legale Expertise, um Landrechte so wie soziale und ökologische Standards zum Schutz der ländlichen Bevölkerung durchzusetzen. Das Resultat ist eine Bereitschaft, Land aufzugeben und in die Städete abzuwandern, eine Entwicklung, die Landübernahmen durch ausländische Investoren begünstigt.
Positive und negative Folgen
Positive Effekte von Investitionen in Landwirtschaft
Landwirtschaft ist die Grundlage für Entwicklung für die meisten Länder Afrikas. Ländliche Entwicklung war keine Priorität afrikanischer Regierungen, vor allem in Ländern, die auf Grund von Rohstoffexporten die nötigen Nahrungsmittel importieren könnten. Viele Großstädte auf dem Kontinent sind von importierten Lebensmitteln abhängig. Auch die europäische Entwicklungspolitik hat die ländliche Entwicklung bis vor kurzem sträflich vernachlässigt. Angesichts der Unterentwicklung der Landwirtschaft in vielen Teilen Afrikas und der wenig genutzten Landflächen scheinen ausländische Investitionen in landwirtschaftliche Projekte wünschenswert.
- Frisches Kapital und moderne Technik können zur Modernisierung und zur Produktionssteigerung beitragen.
- Die Infrastruktur wird ausgebaut.
- Es werden neue Arbeitsplätze geschaffen.
- Ausländische Investoren haben Zugang zu den internationalen Märkten, die dem einheimischen Produzenten verschlossen bleiben.
- Konzerne besitzen das technische Know-how und die Managementfähigkeiten, um die international akzeptierten Produktionsstandards zu erreichen.
Dennoch verbergen sich hinter den Landkäufen und Agrarinvestitionen der letzten Jahre hohe Risiken für die Zukunft.
Soziale und ökologische Risiken
Wenn man sich fragt, in wie weit die ärmeren Bevölkerungsschichten von Investitionen profitieren, zeigt sich, dass sie in vielen Fällen die Verlierer sind.
- Landkonzentration ist Machtkonzentration
Die Konzentration von immer mehr Land in der Hand von immer weniger Eigentümern bedeutet eine immer größere Konzentration der Macht in der Gesellschaft. Die Mehrheit der Bevölkerung, von allem Frauen, werden dadurch immer mehr marginalisiert. - Vertreibung der einheimischen Bevölkerung
Wenn ausländische Unternehmen große Landflächen übernehmen, werden die ansässigen Bauern oft von ihrem Land vertrieben. Da ihr Land durch traditionelles Landrecht verwaltet wird, aber nicht im Katasteramt registriert ist, haben sie keine gesetzlich einklagbaren Ansprüche auf Kompensation. Mit dem Verlust ihrer Existenzgrundlage sind sie gezwungen, in die Slums der Städte abzuwandern. UN-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, spricht von 500 Millionen Kleinbauern, die vom Verlust ihres Ackerlandes gedroht sind. - Verlust von Arbeitsplätzen
Regierungen sind an landwirtschaftlichen Investitionen interessiert, weil sie davon viele neue Arbeitsplätze erhoffen. Diese Erwartungen werden oft nicht erfüllt, weil der Anbau stark mechanisiert ist, und weniger Arbeitsplätze schafft als durch die Vertreibung von Bauern verloren gehen. Auf der höheren Verwaltungsebene, und im Fall von China selbst für die unteren Kader, bringen ausländische Konzerne ihr eigenes Personal mit. - Gefährdung der Nahrungssicherheit
Ausländische Investitionen in Landwirtschaft werden für den Export in die Heimatländer oder auf den Weltmarkt getätigt. Das fruchtbare Land geht der Produktion für die einheimischen Binnenmärkte verloren. Verringerte Inlandsproduktion führt zu höheren Preisen, die sich benachteiligte Bevölkerungsschichten, vor allem in den Städten, nicht mehr leisten können. Die Folge sind größere Armut und mehr Hunger. - Beeinträchtigung der Wasserversorgung
Plantagenwirtschatf erfordert in trockeneren Gebieten Bewässerung. Da Investoren beim Zugang zu Wasser auf Kosten der Bevölkerung bevorzugt werden, entstehen Wasserkonflikte. Ärmere Stadtviertel werden von der Wasserversorgung abgeschnitten, um die Blumenindustrie zu versorgen. Selbst Flüsse werden umgeleitet, um Plantagen in anderen Gebieten zu bewässern (z.B. der San Fransisco Fluss in Brasilien) - Soziale Konflikte
Land hat eine hohe wirtschaftliche und emotionale Bedeutung und damit ein hohes Konfliktpotenzial über Generationen hinweg. Auch wo Landnahmen legal getätigt wurden, aber von den Eigentümern als illegitim gesehen werden, sind Konflikte vorprogrammiert. Medienberichte über Landnahmen durch den südkoreanischen Konzern Daewoo lösten 2008 in Madagaskar einen Regierungssturz mit aus. Plantagen auf enteignetem Land in Benin wurden schon in den 90er Jahren von den ehemaligen Besitzern zerstört. Die Konzentration von Land in wenigen Händen bei gleichzeitigem Anwachsen der Zahl von Landlosen und Arbeitslosen ist Zündstoff für gewaltätige Revolutionen. - Generationenungerechtigkeit
Manche Länder, wie Ruanda, haben schon jetzt eine hohe Bevölkerungsdichte. Andere Länder, wie Sambia, sind wenig bevölkert, aber verdoppeln ihre Bevölkerung alle 20 Jahre. Das Land, das jetzt für bis zu 99 Jahren verpachtet wird, wird bald als Ressource für die kommenden Generationen benötigt werden. - Ökologische Schäden durch Monokulturen
Hohe Investitionen in Landwirtschaft lohnen sich nur bei großflächigem, industriellem Anbau, der einen Einsatz von Kunstdünger und chemischen Pflanzenschutzmitteln mit sich bringt. Während Kleinbauern Umwelt schonend produzieren, zerstören Monokulturen die Artenvielfalt und schädigen die Böden. Die Erfahrungen in Brasilien zeigen, dass eine langjährige Ausbeutung von fragilen Böden durch Monokulturen am Ende eine Wüstenlandschaft hinterlassen. Pestizide gelangen oft ins Grundwasser und vergiften die Flüsse. Wo Wälder für Großplantagen gerodet oder Feuchtgebiete entwässert werden, kann dies das Klima dramatisch verändern.
"(Die Abkommen) fördern ein industrielles Modell von Landwirtschaft, das Armut und Umweltzerstörung zur Folge hat, und den Verlust der Artenvielfalt, die Umweltverschmutzung durch chemische Farmprodukte und genetisch veränderte Organismen verschlimmert."
Grain
"Ein Volk, das seines Landes beraubt wird, ist ein Volk ohne Vergangenheit, ohne Kultur, ohne Zukunft." Hirtenbrief, Bischöfe des Tschad, Dezember 2011
Motive: Warum verschenken Regierungen ihr Land?
Die Motive von Investoren sind bekannt. Sie wollen maximale Profite. Die Gründe der ausländischen Regierungen, die Land pachten oder kaufen, ist durchsichtig. Sie wollen die Nahrungssicherheit ihrer Bevölkerungen durch Produktion im Ausland sicherstellen. Was aber sind die Beweggründe, die afrikanische Regierungen veranlassen, die oft wichtigste Ressource Land wegzugeben, ohne dass ein nachhaltiger Nutzen für die Allgemeinheit sichtbar ist? Die Ausbeutung der Bodenschätze ist bereits unter Kontrolle ausländischer Konzerne. Land ist oft die letzte verbleibende Ressource. Neben Korruption werden mehrere Gründe genannt.
- Arbeitsplätze
Politiker in Afrika, wie in Europa, stehen unter einem enormen Druck, Arbeitsplätze zu schaffen. Eine immer besser gebildete Jugend, die oft die Mehrheit der Bevölkerung darstellt, schreit nach Arbeit. Ohne die Perspektive eines Arbeitsplatzes, so schlecht bezahlt er auch sein mag, ist Massenarbeitslosigkeit eine soziale Zeitbombe. Politiker müssen bei der nächsten Wahl ihr Mandat rechtfertigen. Ausländische Investition scheinen der schnellste und einfachste Weg, Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. - Frisches Kapital
Die Finanz- und Weltmarktkrise hat die Entwicklungsländer noch härter getroffen als die Industrieländer. Schon die hohen Energie- und Nahrungsmittelpreise von 2007 hat die finanzielle Lage der importierenden Länder strapaziert. Das Angebot von Land zu attraktiven Bedingungen ist eine Weise, Kapital anzuziehen. - Marktzugang
Ausländische Konzerne sind bereits auf den internationalen Märkten etabliert. Ausländische Investoren eröffnen einen Zugang zu Märkten, die dem lokalen Produzenten verschlossen bleiben. - Infrastrukturverbesserung
Da die landwirtschaftlichen Investitionen durch ausländische Konzerne meistens dem Export dienen, ist es notwendig, die Infrastruktur auszubauen: Straßen, Eisenbahnlinien oder Hafenanlagen. Davon versprechen sich Regierungen einen Schub für die gesamte Wirtschaft. Allerdings dienen die neuen Verkehrswege mehr den Interessen der Exportfirmen als Bedürfnissen der einheimischen Bevölkerung. - Korruption
Dass bei vielen Land-Deals Korruption im Spiel ist, zeigt die Intransparenz, die die meisten Verträge auszeichnet. Abkommen über Hunderttausende von Hektar werden weder vom Parlament debattiert noch in den Medien diskutiert. Auch die betroffene Bevölkerung wird nicht konsultiert und vor vollendete Tatsachen gestellt. - Planungsdefizite
In vielen Regierungen mangelt es an staatsmännischer Voraussicht, langfristiger Planung und einer Verantwortung für das Gemeinwohl. Die Lösung einer augenblicklichen Krise oder die Interessen von Lobbygruppen erhalten Vorrang vor einer nachhaltigen Entwicklung des Landes. - Weltbankpolitik
Weltbank und Internationaler Währungsfond machen Druck auf Regierungen, die Bedingungen für Investoren zu erleichtern. Landnutzungsgesetze werden gegen die Interessen der ländlichen Bevölkerung und zu Gunsten von Investoren geändert. Bestehende soziale und ökologische Bestimmungen werden aufgehoben. - WTO Regulierungen
Viele Entwicklungsländer haben die Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) (z. B. das Agreement on Trade Related Aspects of Investment Measurers) unterzeichnet, die ausländischen und einheimischen Investoren die gleichen Chancen einräumen, und so den Spielraum von Regierungen gegenüber Investoren stark einschränken. Das kann auch für regionale Handelsabkommen gelten.
"Neu an diesem Kolonialismus der zweiten Generation ist, dass die Länder sich freiwillig erobern lassen."
Spiegel 31/2009
Forderungen und Handelsoptionen
Landpolitik fällt unter die Souveränität des Nationalstaates. Staaten sind jedoch völkerrechtlich verpflichtet, Menschenrechte zu respektieren und aktiv zu deren Durchsetzung beizutragen. Landnahmen gefährden vor allem das Recht auf Nahrung, das Recht auf Wohnung und das Recht auf traditionelles Territorium von Indigenengruppen.
- "Jeder hat ein Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung..."
(Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Art. 25.1) - "Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung..."
Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Art. 11)
Zugang zu Land ist ein Kernelement des Rechtes auf Nahrung. Wenn Regierungen, Investoren oder Konzerne große Landflächen pachten oder kaufen, werden oft die Rechte der Bevölkerung, die dieses Land für ihren Lebenssunterhalt nutzen, misssachtet. Sie verlieren den Boden, auf dem sie ihre Nahrung anbauen, und oft auch ihre Häuser. Indigene Völker können ihren gesamten Lebensraum verlieren. Kompensationen sind meistens unzureichend. Wenn Landflächen, die der Nahrungsmittelproduktion für die lokale Bevölkerung dienten, ausschließlich für den Export produzieren, kann die Nahrungssicherheit gefährdet sein.
Wenn Regierungen große Teile des Landes unter die Kontrolle von ausländischen Interessengruppen stellen, beschränken sie auf längere Zeit ihre Fähigkeit, die Entwicklung ihres Landes selbst zu gestalten, wie es die WSK-Rechte postulieren.
- "Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung."
Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Art. 1.1)
FORDERUNGEN
Um sozialen und ökologischen ethischen Standards gerecht zu werden, sollten bei Landinvestitionen folgende Grundprinzipien respektiert werden.
- Verträge dürfen nicht die Umsetzung der Menschenrechte behindern und der Verfassung des Landes entgegenstehen. Das Menschenrecht auf Nahrung muss in allen Fällen respektiert werden. Landwirtschaftliche Investitionen für den Export dürfen nicht die Ernährungssicherheit der Bevölkerung im eigenen Land gefährden.
- Die auf dem Land ansässige Bevölkerung muss vor einem Vertragsabschluss adäquat informiert und konsultiert werden, und bei Verlust von Landbesitz fair, (d.h. mindestens durch qualitativ gleichwertiges Land hinsichtlich Bodenfruchtbarkeit, Wasserverfügbarkeit und Zugang zu infrastruktureller Anbindung an anderem Ort) kompensiert werden. Wenn eine Umsiedlung notwendig ist, dürfen die Betroffenen nachher nicht schlechter dastehen als vorher. . (vgl. Weltbank - Operational Policy 4.12 zu Involuntary Resettlement.) Dabei sind die traditionellen Landnutzungsrechte abzusichern und zu respektieren.
- Die langfristigen ökologischen und klimatischen Folgen durch großflächige Monokulturen sind wissenschaftlich belegt, vor allem bei der Rodung von Wäldern oder der Nutzung von Feuchtgebieten, und müssen vermieden werden. (cf. Weltagrarbericht IAASTD) Dies umfasst die Auswirkungen auf Böden, Wasserqualität und -quantität, Luft und Klima.
- Investoren müssen sich vertraglich verpflichten, für ihre Beschäftigten mindestens die sozialen Standards der Konvention der Internationalen Labour Organisation (ILO) einzuhalten.
- Pachtverträge sollten nur für Zeiträume, die über eine Generation hinausgehen, abgeschlossen werden, um die Bedürfnisse zukünftiger Generationen zu respektieren.
- Verträge, die große Landflächen unter die Kontrolle ausländischer Interessen stellen, sollten der Unterzeichnung einer öffentlichen Debatte im Parlament und in den Medien unterzogen werden, und die Vertragsbedingungen transparent sein.
HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN
Welche politischen Optionen gibt es, um Regierungen zu bewegen, bei Pachtverträgen mit ausländischen Investoren die Menschenrechte der Bürger zu respektieren und die langfristigen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Konsequenzen zu bedenken?
- Das Kommitte für Nahrungssicherheit der FAO verabschiedete im Mai 2012 die "Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests in the Context of National Food Security". Die wichtigste politische Aufgabe wäre, diese auf Völkerrecht und den Menschenrechten basierenden freiwilligen Richtlinien in die nationalen Gesetzgebungen aller Länder zu übernehmen.
- Landnutzungsrechte und Landwirtschaftspolitik sollten bei den Verhandlungen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Partnerländern zur Sprache kommen. Gleichzeitig sollte das Ministerium über die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) technische Hilfe für eine Reform der Landgesetze anbieten, um traditionelle Landnutzungsrechte effektiv gesetzlich zu verankern und zu schützen, und Rechtshilfe für die Opfer ungerechter Landnahme zu ermöglichen. In der Entwicklungs-zusammenarbeit sollten Bauernverbände, die für die Rechte und Interessen der ländlichen Bevölkerung eintreten, gefördert werden.
- Langfristig muss das Internationale Recht weiter entwickelt, das Recht auf Nahrung juristisch verankert und Verstöße dagegen geächtet werden. Ein wichtiger Schritt ist das Zusatzprotokoll zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten, das ein Individualbeschwerdeverfahren festlegt und 2008 durch die UN-Vollversammlung angenommen wurde. Die Bundesregierung sollte es so bald wie möglich ratifizieren.
Regierungen haben die „Verpflichtung, das gemeinsame Erbe zu verteidigen gegen alle Formen von Verschwendung und gegen Betrug durch Bürger ohne Verantwortungssinn für das Allgemeinwohl und durch skrupellose Ausländer".
Dokument der 1. Afrikanischen Synode No. 113
Links und Dokumente
Dokumente und Artikel Deutsch
NAD Powerpoint on Landgrabbing 2012
Oakland Institute
Excellente und sehr detailierte Länderstudien in Afrika
Inkota
Land GrabbingExcellente 2 seitiges Infomaterial
Fian Land Grab in Kenia und Mosambik
Gute Studie
Brot für alle / Schweizer Fastenopfer "Land Grabbing - die Gier nach Land"
Eine exzellente Zusammenfassung der Problematik
Alliance Sud - entwicklungspolitische Organisation der sechs Schweizer Hilfswerke
Landnahme - Land Grabbing
Entwicklungspolitische Positionierung zum Thema:
Großflächtige Landkäufe und -pachten in Entwicklungsländern, BMZ Okt. 2009
Große Einkaufstour - Welt-sichten 2009-2
Deutsche Übersetzung des Dokuments von Grain: Seized: the 2008 landgrab for food and financial security
Die Jagd ist eröffnet - Zugang zu Land in Zeiten der Krise, FIAN FOOD
First Magazine 1/2009
Die Erde wird Knapp, Petra Steinberger
Süddeutsche Zeitung 01.04.2009
Kontinent meistbietend zu verkaufen, Marc Engelhardt
TAZ, 11.03.2009
Afrikas Land im Ausverkauf, NAD Überblicke und Hintergründe 1/2009
Eine Form von Kolonisierung - Afrika im Brennpunkt einer neuen Landnahme Wolfgang Schonecke, in Herderkorrespondenz 2009/6
Englisch
- Landmatrix
Ein aktueller Überblick wer wo in Land investiert FAO Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests Daten zu 416 Landnahmen in 66 Ländern- Grain Gesamte von Investoren übernommene Landfläche pro Land - African social Forum: Dakar
Declaration on Water and Land grabbing 2014 - Land rights and the rush for land - Summary
- IIED, CIRAD; ILC - Excellent Summary of the problem and recommendations, Jan. 2012
- Land - Biblical and ethical dimensions Wolfgang Schonecke, NAD June 2011
- Landgrabbing in Africa - An ethical and biblical view for reflection and action AEFJN - Oct. 2011
- Are Land deals driving 'water grabs'? IIED - Nov. 2011
- The M'bour Declaration on Land Grabbing in Africa Febr. 2011
- The impact of Europe's Policies and Practices on African Agriculture und Food Security - Land Grab Study FIAN 2010
- COPAGEN Declaration on family agriculture and land grabbing in Africa, Cotonou 19.09.2009
- Large Scale Land Acquisitions and Leases: A set of core principles and measurer to address the human right challenge, June 2009 Olivier de Schutter, UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Ernährung
- Seized: The 2008 landgrab for food and financial security, Grain Erste grundlegende Studie über landgrabbing mit einer Tabelle mit den betroffenen Ländern
- Land grab or development opportunity? - Agricultural investment and international land deals in Africa IIED - FAO - IFAD 2009
- Framework and Guideslines on Land Policy in Africa, April 2009 African Union - Economic Commission for Africa
- Towards Voluntary Guidelines on Responsible Governance of Tenure of Land and other Natural Resources,Land Tenure and Management Unit, Food and Agricultural Organisation of the UN (FAO)
- Voluntary Guidelines... Civil Society Perspectives, FIAN and Hakijamii
- Land grab or development opportunity? Agricultural investments and land deals in Afrika Enthält Fallstudien zu verschiedenen afrikanischen Ländern
French
- INADES
Declaration sur l'accaparement des terres en Afrique
Links
- Grain Landgrab Resource Page
Material zu Landgrab in Englisch und Französisch - Food Crisis and Global Landgrab
Die Webseite von Grain bietet die neuesten Dokumente und Artikel über Landnahmen aus allen Teilen der Welt - Oakland Institute
Gut recherchierte Studien über die Probleme des Landnahme und Länderanalysen - International Institute for Environment and Development (IIED)
Recherchiert auch über Landrechte - International Land Coalition (ILC)
Forschungsprojekt über Landnahmen
"Ausländische Investoren können in jedem Land mit der Bevölkerung über die Nutzung von Anbauflächen verhandeln.
Aber wir werden nie dulden, dass das Land verkauft wird."
Ndiogou Fall, ROPPA