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Gerade einige Stunden bevor die Parlamentarier über eine neue Regierung abstimmen wollten, um das Land aus der ernsten politischen Krise zu ziehen, hat sich ein jugendlicher Zigaretten-Straßenhändler im Zentrum von Tunis angezündet, um die Aussichtslosigkeit der jungen Menschen zu zeigen. Die schwelende Unzufriedenheit verursacht häufige Selbstmorde. Vor zwei Jahren hatte die Selbstverbrennung des Mohamed Bouazizi die Jasmin-Revolution ausgelöst.
Der islamistische Premier Hamadi Jebali hat es nicht geschafft, eine Regierung mit größtmöglicher Beteiligung zu bilden, die die Opposition und seine eigenen Anhänger zufrieden gestellt hätte. Nach einem Krisengespräch mit Präsident Moncef Marzouki hat er den angedrohten Rücktritt wahr gemacht. Viele Tunesier sind enttäuscht. Sie hatten gehofft, dass ein charismatischer Führer die hohen Ziele der Revolution verwirklichen könnte.
Die Schüsse, die den populären Oppositionspolitiker Chokri Belaid töteten, haben Massenproteste ausgelöst und das ganze Land in Unruhe versetzt. Wiederholte Versuche des Premiers Jebali, die Empörung der Opposition durch ein neues Kabinett von Experten zu beruhigen, sind gescheitert, hauptsächlich am Widerstand der eigenen islamisch geprägten Ennahda Partei, der stärksten politischen Kraft im Land. Ein neuer Versuch einer Regierungsbildung von Politikern und Experten steht bevor. Die Ennahda Gegner, jedoch, protestieren weiter; sie bestehen, wie ihr ermordeter Anführer, auf einer Trennung von Staat und Religion.
Vor zwei Jahren floh Ben Ali aus seinem Land. Seine angehäuften Luxusgüter werden zum Verkauf angeboten, aber die alten Probleme, politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich, bleiben. Die geforderte Verfassung braucht zu viel Zeit, die Meinungsfreiheit ist bedroht, die Arbeitslosigkeit steigt und Touristen und Investoren bleiben fern. Tunesiens Weg zur Demokratie ist weit.
Italien hat der tunesischen Nationalgarde zwei neue Patrouillenschiffe geschenkt, um unerwünschte Migranten am Erreichen der EU- Außengrenzen zu hindern. Der offizielle Verwendungszweck ist „der Kampf gegen illegale Migration und die Überwachung der tunesischen Küste“. Ein weiteres Schiff soll folgen. Italien hat sich schon kurz nach dem Umsturz in Tunesien bemüht, die erwartete Welle der Bootsflüchtlinge einzudämmen.
Tausende Frauen demonstrierten in Tunis gegen den Plan der Regierung, die Rechte der Frauen in der Verfassung zu ändern. Die Konstitution garantierte bisher die Gleichheit von Mann und Frau. Der Verfassungsentwurf der islamistischen Regierungspartei Ennahda spricht von der Komplimentarität von Mann und Frau. Viele Frauen sehen darin den Versuch, die Frau dem Diktat des Mannes zu unterwerfen.  
55 Menschen, die Hälfte aus Eritrea, gingen gegen Ende Juni in Libyen an Bord eines Schlauchbootes, um nach Europa zu kommen. 15 Tage später wurde der einzige Überlebende von der tunesischen Küstenwache gerettet, an einen Kanister geklammert und schon stark dehydriert. Sein Bericht: sie hatten die italienische Küste fast erreicht, als ein starker Wind sie wieder aufs offene Meer hinaustrieb. Dem Schlauchboot ging die Luft aus und sie hatten weder Sprit noch Wasser.
Die Regierung hat über acht Ballungsgebiete um Tunis Ausgangssperre verhängt, nachdem bei Kämpfen zwischen Islamisten und Polizei über 100 Menschen verletzt wurden. Die Randalierer, darunter Salafisten, griffen öffentliche Gebäude an, weil sie sich über eine Kunstaustellung in Tunis als Muslime beleidigt fühlten. Zur Zeit des Umsturzes im letzten Jahr spielten Islamisten kaum eine Rolle, doch inzwischen ist Religion ein umstrittenes Thema in Politik und Gesellschaft.
Auf seinem Staatsbesuch in Marokko versucht Tunesiens neuer Präsident Moncef Marzouki, den Jahre alten Traum von einer Maghreb Union wiederzubeleben. Die Arab-Maghreb-Union (UMA) wurde 1989 als Handelspakt zwischen Algerien, Marokko, Tunesien, Libyen und Mauretanien gegründet, ist aber seit 1994 wegen dem Westsahara-Konflikt und mangelndem Interesse inaktiv. Nun soll es in Tunis einen regionalen Gipfel geben, wo es neben Wirtschaftsfragen auch um Zusammenarbeit, Bewegungsfreiheit und Sicherheit geht.
Kurz vor dem ersten Jahrestag der Revolution, die Ben Ali stürzte, wurde das Land von einer Reihe Selbstverbrennungen erschüttert. Ein Versuch aus sechs endete tödlich. Mit einer Selbstverbrennung hatten die Massenproteste im Dezember 2010 begonnen. Jetzt klagen viele Tunesier, dass es ihnen wirtschaftlich schlechter geht als zuvor.
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