Nach wochenlangen Massenprotesten hat die islamistische Regierungspartei Ennahda zugesagt, eine Regierung von Technokraten einzusetzen, sobald Verhandlungen über eine neue Verfassung und einen Wahltermin abgeschlossen sind. Die Opposition verlangt einen sofortigen Rücktritt der Regierung.
Nicht nur Ägypten, auch Tunesien befindet sich in einem Machtkampf zwischen religiös orientieren Kräften, die dort die Regierung stellen, und einer lautstarken Opposition, die einen demokratischen, laizistischen Rechtsstaat anstrebt. Seit Tagen fordern zehntausende Demonstranten den Rücktritt der Regierung der islamistischen Partei Ennahda. Auslöser war der Mord von zwei prominenten Oppositionspolitikern.
Seit dem Mord an dem Oppositionspolitiker Brahmi kommt Tunesien nicht zur Ruhe. Gegner und Anhänger der Regierung in fast gleichen Zahlen füllen demonstrierend die Straßen. Aber anders als in Ägypten, versucht die kompromissbereite Regierung Gespräche mit ihren Kritikern und verspricht Neuwahlen vor Jahresende. Zurücktreten will sie aber nicht.
Das aus parteilosen Kandidaten zusammengestellte Kabinett unter Larayedh will spätestens bis zu den Wahlen im November einen politischen Übergang schaffen und für mehr Sicherheit und bessere Wirtschaftsbedingungen sorgen. Der Suizid eines Jugendlichen durch Selbstverbrennung überschattete die Regierungsbildung.
Gerade einige Stunden bevor die Parlamentarier über eine neue Regierung abstimmen wollten, um das Land aus der ernsten politischen Krise zu ziehen, hat sich ein jugendlicher Zigaretten-Straßenhändler im Zentrum von Tunis angezündet, um die Aussichtslosigkeit der jungen Menschen zu zeigen. Die schwelende Unzufriedenheit verursacht häufige Selbstmorde. Vor zwei Jahren hatte die Selbstverbrennung des Mohamed Bouazizi die Jasmin-Revolution ausgelöst.
Der islamistische Premier Hamadi Jebali hat es nicht geschafft, eine Regierung mit größtmöglicher Beteiligung zu bilden, die die Opposition und seine eigenen Anhänger zufrieden gestellt hätte. Nach einem Krisengespräch mit Präsident Moncef Marzouki hat er den angedrohten Rücktritt wahr gemacht. Viele Tunesier sind enttäuscht. Sie hatten gehofft, dass ein charismatischer Führer die hohen Ziele der Revolution verwirklichen könnte.
Die Schüsse, die den populären Oppositionspolitiker Chokri Belaid töteten, haben Massenproteste ausgelöst und das ganze Land in Unruhe versetzt. Wiederholte Versuche des Premiers Jebali, die Empörung der Opposition durch ein neues Kabinett von Experten zu beruhigen, sind gescheitert, hauptsächlich am Widerstand der eigenen islamisch geprägten Ennahda Partei, der stärksten politischen Kraft im Land. Ein neuer Versuch einer Regierungsbildung von Politikern und Experten steht bevor. Die Ennahda Gegner, jedoch, protestieren weiter; sie bestehen, wie ihr ermordeter Anführer, auf einer Trennung von Staat und Religion.
Vor zwei Jahren floh Ben Ali aus seinem Land. Seine angehäuften Luxusgüter werden zum Verkauf angeboten, aber die alten Probleme, politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich, bleiben. Die geforderte Verfassung braucht zu viel Zeit, die Meinungsfreiheit ist bedroht, die Arbeitslosigkeit steigt und Touristen und Investoren bleiben fern. Tunesiens Weg zur Demokratie ist weit.
Italien hat der tunesischen Nationalgarde zwei neue Patrouillenschiffe geschenkt, um unerwünschte Migranten am Erreichen der EU- Außengrenzen zu hindern. Der offizielle Verwendungszweck ist „der Kampf gegen illegale Migration und die Überwachung der tunesischen Küste“. Ein weiteres Schiff soll folgen. Italien hat sich schon kurz nach dem Umsturz in Tunesien bemüht, die erwartete Welle der Bootsflüchtlinge einzudämmen.
Tausende Frauen demonstrierten in Tunis gegen den Plan der Regierung, die Rechte der Frauen in der Verfassung zu ändern. Die Konstitution garantierte bisher die Gleichheit von Mann und Frau. Der Verfassungsentwurf der islamistischen Regierungspartei Ennahda spricht von der Komplimentarität von Mann und Frau. Viele Frauen sehen darin den Versuch, die Frau dem Diktat des Mannes zu unterwerfen.